Netzsperren – Volksrepublik China als Vorbild

Zensur im Internet – Sinn und Unsinn von Netzsperren

Seit einiger Zeit ist eine kontroverse politische Debatte über sog. „Netzsperren“ entbrannt. Das nach heißer Debatte und mehrfachen Änderungen mittlerweile vom Bundestag verabschiedete „Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen“ (Zugangserschwerungsgesetz) ist zwischenzeitlich in Kraft getreten und wurde am 17.02.2010 verkündet (Bundesgesetzblatt Teil I, 2010, S. 78ff).

Wegen der aktuellen Debatte wurde jedoch vom Bundesinnenministerium die Anweisung an das BKA gegeben, derzeit keine Sperrliste zu führen. Mit diesem Gesetz wurde erstmals eine gesetzliche Grundlage geschaffen, Internetzugangsprovider zu verpflichten, gewisse in einer – vom BKA geführten – Sperrliste erfasste Internetan­gebote mit kinderpornographischem Inhalt für den Zugriff der Internet-User zu sperren. Sperrverfügungen im Einzelfall sind jedoch seit langem ein Thema. Insbesondere in NRW sind von Seite der Bezirksregierungen in der Vergangenheit verwaltungsrechtliche Sperrverfügungen gegen Internetprovider ergangen. Gegenstand waren andere rechtswidrige Inhalte im Netz, z.B. rechtsradikale Inhalte, linksextremistische Inhalte, islamistisch-terroristische Inhalte. Das Zugangserschwerungsgesetz ist nun das erste Gesetz, dass die Sperrung von Inter­netangeboten bei den Providern ermöglicht, ohne dass eine einzelfallbezogene Sperrverfügung ergehen muss.

Gegen das Gesetz sind zahlreiche Stimmen laut geworden, von Politikern, Datenschutzbeauftragten und auch von Opferschutzverbänden. Ein sehr umfassender Überblick zum Meinungsstand findet sich unter: http://www.datenschutzbeauftragter-online.de/uberblick-zum-thema-netzsperren/.

Zunächst mag man sich fragen, wieso die Sperrung von kinderpornographischen Seiten für den Zugriff durch Be­nutzer überhaupt diskutiert wird. Sollte es nicht selbstverständlich sein, dass auf derartige illegale Inhalte nicht zugegriffen werden darf? Ist es bereits, denn mit den §§ 184 b ff. StGB existieren bereits jetzt Strafvorschriften, die das Betrachten, Herunterladen, Besitzen usw. von Kinderpornographie unter – drastische – Strafen stellen. Be­reits dadurch wird Kinderpornographie geächtet und bekämpft. Den Zugriff auf solche – rechtswidrigen – Inhalte nun a priori zu verhindern, ist sicherlich ein berechtigtes Ziel des Gesetzgebers. Nur wird das Ziel mit dem vorlie­genden Gesetz nicht erreicht. Zu Recht ist daher Kritik an dem Gesetz geübt worden. Einige Kritikpunkte – neben zahlreichen weiteren – sind:

1.    Die technische Umsetzung der Sperren ist ineffektiv. Jeder Internetnutzer kann sie umgehen (in 30 Sekunden/ Anleitungs-Video auf YouTube zu finden).

2.    Das BKA bestimmt über seine Sperrliste, welche Seiten gesperrt werden. Zensur durch die Polizei im demokratischen Rechtsstaat?

3.    Eine gerichtliche Überprüfung ist für den betroffenen Internet-User nicht möglich.

4.    Sperren heißt „Wegschauen“. Die rechtswidrigen Inhalte bleiben im Netz.

Insbesondere das zweite und das dritte Argument bergen das eigentliche „Potential“ der Debatte.

Technische Sperren einzelner Inhalte sind aufgrund der Struktur des Internets praktisch nicht umzusetzen. Schon der Name des Gesetzes zeigt, dass es technisch gar nicht um eine Sperrung geht, sondern nur um eine „Erschwerung“. Technisch möglich sind Sperren nur bei einer kompletten Umstrukturierung des Internets. Ein „erfolgreiches“ Beispiel liefert die Volksrepublik China. Der Staat erhält eine technisch wirksame Kontrolle, wenn er eine Art „Intranet“ im Internet schafft. Damit wird aber technisch auch die Möglichkeit einer (demokratisch nicht mehr kontrollierbaren) „Totalzensur“ geschaffen. Für viele Aktivisten ist das Zugangserschwerungsgesetz der Vorbote solcher Entwicklungen. Diese Befürchtung ist nicht etwa in den Bereich der Verschwörungstheorien zurückzuweisen.

So weist bereits eine Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages aus der Zeit des Gesetzge­bungsverfahrens auf die derzeit fehlende technische Realisierbarkeit hin. Dort heißt es dann unter ande­rem:„Gerade am Beispiel China zeigt sich, dass Sperrungen durchaus wirksam durchgesetzt werden können, allerdings mit einem erheblichen Aufwand an Kosten, Zeit und Human Resources. Um Sperrungen effektiv handha­ben zu können, müsste das Internet ganzheitlich umstrukturiert werden und insbesondere seine ursprüngliche Intention, nämliche die dezentrale Vernetzung von Computern, aufgegeben werden.”

Mittlerweile gibt es Bestrebungen zu einer derartigen Internetzensur auch in Australien. Dies wurde insbesondere von der US-Amerikanischen Regierung stark kritisiert. Es ist daher nur eine Frage der Zeit, wann der erste deutsche Politiker angesichts der fehlenden Wirksamkeit des Zugangserschwerungsgesetzes die Schaffung der erforderlichen technischen Voraussetzungen fordern wird. Und es ist auch nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Rechtsbruch im Internet auf diese Weise bekämpft werden soll (rechtswidrige politische Inhalte, Urheberrechtsverstöße, Glücksspielseiten etc.).

Entsprechende „Begehrlichkeiten“ sind bereits am Rande der Debatte geäußert worden. Auch wenn sich daher derzeit wohl niemand ernsthaft beschweren kann, dass seine Meinungs- und Informationsfreiheit eingeschränkt würde, wenn der Zugriff auf kinderpornographische Inhalte im Netz gesperrt wird, so wird man das Argument der Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit der Bürger bei einer Debatte um Urheberrechtsverstöße und rechtswidrige politische Inhalte nicht außer Acht lassen können. In diesem Zusammenhang muss auch die Ausgestaltung des jetzigen Gesetzes hinsichtlich der Umsetzung der Sperrungen harte Kritik vertragen.

Zunächst dürfen in die Sperrliste nur Seiten aufgenommen werden, die Inhalte nach § 184 b StGB enthalten. Wer sich mit der diesbezüglichen Rechtsprechung auseinandersetzt, der erkennt, dass die Abgrenzung im Einzelfall (selbst bei der relativ eindeutigen Materie Kinderpornographie!) schwierig ist. Für diese Feststellung ist nunmehr aber kein Gericht, sondern das BKA zuständig. Schon unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung ist es hochproblematisch, dass eine Polizeibehörde darüber befindet, welche Inhalte den Tatbestand des § 184 b StGB erfüllen. Sofern der Gesetzgeber in Zukunft auf dem Gebiet der oben benannten „Begehrlichkeiten“ tätig würde, läge es nahe, sich bezüglich der gesetzlichen Ausgestaltung am Zugangserschweru ngsgesetz zu orientieren.

Man stelle sich jedoch im politischen Bereich (rechtsextremistisch, linksextremistisch, islamistisch) vor, dass BKA hätte die Entscheidungskompetenz, welche Inhalte rechtswidrig und daher zu sperren sind. Das Prinzip der Gewaltenteilung wäre hinfällig. Daher ist dieser Entwicklung frühzeitig Einhalt zu gebieten. Principiis obsta! Das vorliegende Gesetz gibt den Telemediendiensteanbietern zwar die Möglichkeit, bezüglich der Aufnahme von Inhalten in die Sperrliste den Verwaltungsrechtsweg zu beschreiten. Das Gesetz enthält jedoch keinen – und dies ist Hauptgrund für die starke öffentliche Kritik an dem Gesetz –Rechtsweg für Privatpersonen, die überprüfen wollen, ob ihre Meinungs- und Informationsfreiheit zu Unrecht beschränkt wird. Mit anderen Worten, wie überprüft der Bürger ob ihm das BKA zu Recht einzelne Internetseiten gesperrt hat? Hier muss ein klar definierter Rechtsweg für jeden Bürger geschaffen werden. Denn das Internet steht jedem Bürger zur Nutzung im Rahmen seiner Informations- und Meinungsfreiheit zur Verfügung. Im Sinne der Gewaltenteilung muss zudem sichergestellt sein, dass nur solche Inhalte in Sperrlisten des BKA aufgenommen werden, deren Rechtswidrigkeit ein deutsches Gericht rechtskräftig festgestellt hat. Das vorliegende Gesetz ist daher unbrauchbar. Es ist dringend Nachbesserungsbedarf geboten. Die emotionale Debatte um Kinderpornographie darf nicht dazu füh­ren, dass ein Einfallstor für eine Internetzensur geschaffen wird, welche die Meinungs- und Informationsfreiheit der Bundesbürger einschränkt. Die bestehenden Strafvorschriften reichen völlig aus, das Verbreiten und den Zugriff auf rechtswidrige Inhalte zu ächten und zu bestrafen. Eindeutig (durch Gerichtsurteil) als rechtswidrig qualifizierte Inhalte können auf inländischen Servern schon jetzt gelöscht werden. Der Einwand, Inhalte auf Servern im Ausland könnten im Einzelfall nicht gelöscht werden, deswegen müssten Möglichkeiten der Sperrung bestehen, ist eine Flucht vor dem eigentlichen Problem. Das zeigt sich bereits daran, dass in Finnland, wo eine derartige Sperrliste schon länger existiert, 96% der gesperrten Angebote auf Servern der „westlichen Welt“ lagen. Zensur oder Sperrung ändert nichts an diesem Problem. Es kommt schließlich auch niemand auf die Idee, bei einer rechtswidrigen Demonstration von Verfassungsfeinden die Fenster der betroffenen Anwohner zu vernageln, anstatt den (rechtswidrigen) Demonstrationszug aufzulösen. Sofern es Schwierigkeiten bei der Löschung von rechtswidrigen Inhalten auf ausländischen Servern gibt, müssen diesbezüglich gesetzliche Regelungen zur Erleichterung solcher Löschungen getroffen werden. Dabei wird es sicher-lich Probleme geben, denn was in einem Staat rechtswidrig ist, ist vielleicht in einem anderen Staat legal. Dann muss -politisch- darum gerungen werden, solche Löschungen durchzusetzen. Oder ist es ernsthaft erstrebenswert, den Bürgern in Deutschland die Bildschirme und Augen zu verbinden, damit diese nicht sehen können, dass in anderen Staaten rechtswidrige Inhalte ungestraft auf öffentlich zugänglichen Servern gelagert werden? Können wir beruhigter schlafen und haben Kinderpornographie bekämpft, weil wir Kinderpornoseiten aus dem Ausland nicht mehr im Inland sehen können? Dann sollten wir uns wirklich die Volksrepublik China als Vorbild nehmen, um die Netzsperren zumindest effektiv umzusetzen. In diesem Sinne: Gute Nacht!

 

Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in den AAV-Mitteilungen 06/Mai 2010

 

4 Gedanken zu „Netzsperren – Volksrepublik China als Vorbild

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